Mittwoch, 6. Oktober 2010

Eine erste richtige Unterhaltung mit Gustav

Geschrieben von: Walter

6. Oktober 2010
Heute gab es fast eine richtige Unterhaltung mit Gustav.
Aber es fing mühsam an.
Als ich in sein Zimmer kam, da lag er mal wieder ohne Windel da und zeigte sich, wie der Liebe Gott ihn geschaffen hat. Ich versuchte, ihn noch einmal dazu zu bewegen, den Unsinn sein zu lassen, da diese unappetitliche Pulerei mit der Windel auch für das Pflegepersonal eine unzumutbare Belastung wäre . . . aber Gustav wurde nur grantig.
Die nächsten 25 Minuten verliefen etwas zäh.
Er nahm mir wohl meine Einmischung in Sachen Windel übel.
Sein Gebrabbel war kaum verständlich.
Aber dann, so nach 20 Minuten, da kam er richtig in Fahrt und strengte sich soo an, daß sein Gesicht rot wurde. Er klagte - recht vernehmlich und auch mit einer etwas besseren Aussprache – daß er nicht abschalten kann.
Ist das möglicherweise der Hauptgrund für seine zeitweilige Unruhe und Unduldsamkeit?
Dann kam ein Satz, den ich zwar klar verstanden habe, aber nicht sinnvoll einordnen konnte: „Ma schaun, ich werd das auch selber sehn.“
Und nach einer kleinen Pause kam der Wunsch: „Ich möchte mal in’n Apfel beißen.“
Meine Antwort war: „Du kannst ja noch nicht richtig beißen und schlucken.“
Aber das ließ er nicht gelten und sagte: „Das möchte ich selbst seh'n.“
Ich hatte mir Notizen zu seinem Wortschwall gemacht und las ihm nun das Notierte vor und er sagte: „Genau!“

So langsam verstehe ich das, was Gustav mir sagen will und was er denkt und tut.

Als seine „Astronautennahrung“ alle war und das kleine Gerät unaufhörlich piepste, versuchte Gustav, dieses abzuschalten. Aber mit seiner noch voll beweglichen linken Hand schaffte er das nicht; also tat ich es und Gustav bedankte sich sogar.
Deshalb hatte er sich wohl auch schon zweimal das ganze Gestell mit der Trinkflasche zu sich ins Bett geholt und das Pflegepersonal rätselte, warum er das wohl gemacht hatte.
Des Rätsels Lösung war ganz einfach:
Er wollte einfach seine Ruhe haben.

Jetzt müssen wir nur noch herausbekommen, warum er sich die Windel immer wieder vom Leib pult und das Pflegepersonal mit seiner nackten Herrlichkeit zu erschrecken versucht . . .

Und noch eine kleine Besonderheit:

Wenn man die Tür zu Gustavs Zimmer zu macht, dann protestiert er und macht auch mit seinem Gebrabbel deutlich, daß er diesen Kontakt zur ‚Außenwelt’ will und auch braucht. Da draußen auf dem Flur läuft ja immer mal ein anderes menschliches Wesen herum und das ist auch eine gewisse Abwechslung in seinem täglichen Einerlei.
So ein menschliches Wesen ist doch immer noch etwas Anderes als so ein Fernseher, der da bei ihm in der Zimmerecke seine Bilder produziert.

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Walter